Selbstanzeige trotz eingeleiteter Betriebsprüfung: Möglichkeiten im Ernstfall

pixabay: Larsgustav
Die Ankündigung oder Durchführung einer steuerlichen Betriebsprüfung durch das Finanzamt stellt für viele Steuerpflichtige eine Ausnahmesituation dar. Nicht selten geht mit einer solchen Prüfung eine erhebliche Verunsicherung einher – insbesondere dann, wenn rückblickend Zweifel daran bestehen, ob sämtliche steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt wurden. In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage nach einer möglichen strafbefreienden Selbstanzeige besondere Relevanz: Kann eine Selbstanzeige auch noch dann wirksam abgegeben werden, wenn die Betriebsprüfung bereits eingeleitet wurde? Und wenn ja, in welchem Umfang?
Diese Fragestellung ist von besonderer praktischer Bedeutung, denn sie betrifft einen Bereich, in dem das Steuerrecht und das Strafrecht eng miteinander verwoben sind. Viele Betroffene wissen nicht, dass eine Betriebsprüfung nicht pauschal zur Unwirksamkeit einer Selbstanzeige führt, sondern differenziert betrachtet werden muss.
In diesem Beitrag erfahren Sie, unter welchen Bedingungen eine Selbstanzeige trotz laufender Betriebsprüfung sinnvoll und wirksam sein kann. Ziel ist es, Ihnen eine erste Orientierung zu geben, das Bewusstsein für steuerstrafrechtliche Risiken zu schärfen und aufzuzeigen, wie durch frühzeitiges Handeln bestehende Probleme gelöst und künftige rechtliche Auseinandersetzungen vermieden werden können.
1. Was ist eine Selbstanzeige?
Die Selbstanzeige ist ein gesetzlich vorgesehenes Instrument des deutschen Steuerrechts, das es Steuerpflichtigen ermöglicht, begangene Steuerstraftaten nachträglich offenzulegen, um unter bestimmten Voraussetzungen Straffreiheit zu erlangen. Sie ist in § 371 AO geregelt und soll dem Steuerpflichtigen die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ermöglichen, ohne dabei strafrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen.
Damit eine Selbstanzeige wirksam ist und tatsächlich zur Straffreiheit führt, müssen mehrere gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein:
- Zunächst muss die Selbstanzeige vollständig sein. Das bedeutet, der Steuerpflichtige muss zu allen steuerlich relevanten Sachverhalten einer Steuerart, die in einem bestimmten Zeitraum hinterzogen wurden, vollständig und wahrheitsgemäß Auskunft geben. Teilgeständnisse oder selektive Angaben genügen nicht.
- Darüber hinaus müssen die hinterzogenen Steuern innerhalb der von der Finanzbehörde gesetzten Frist vollständig nachgezahlt werden. Dies schließt auch die anfallenden Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO ein. Wenn die hinterzogene Steuer den Betrag von 25.000 Euro überschreitet, wird zusätzlich ein Zuschlag gemäß § 398a AO erhoben. Auch dieser muss fristgerecht entrichtet werden, um die Straffreiheit sicherzustellen.
- Neben der Vollständigkeit und der Nachzahlung der hinterzogenen Steuer muss die Selbstanzeige rechtzeitig erfolgen. Von zentraler Bedeutung ist, dass die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nur eintritt, sofern kein Sperrgrund gem. § 371 Abs. 2 AO vorliegt. Ein solcher Sperrgrund ist beispielsweise die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO). Sobald ein solcher Umstand vorliegt, ist eine strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich nicht mehr möglich.
Wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind, tritt Straffreiheit ein. Das bedeutet, dass gegen den Steuerpflichtigen wegen der offenbarten Sachverhalte kein Strafverfahren durchgeführt wird. Die steuerlichen Nachzahlungen und Zinsen bleiben hiervon jedoch unberührt. Die Pflicht zur Nachzahlung der hinterzogenen Steuer besteht unabhängig davon, ob ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wird oder nicht.
Wichtig – Risiken bei fehlerhafter Selbstanzeige:
In der Praxis erweist sich die Selbstanzeige als äußerst fehleranfällig. Bereits kleinere inhaltliche oder formale Fehler können dazu führen, dass die angestrebte Straffreiheit nicht eintritt. Besonders bei unvollständigen Angaben oder unklaren Sachverhalten besteht ein erhebliches Risiko, dass die Selbstanzeige als unwirksam eingestuft wird. Aus diesem Grund ist eine pedantisch Arbeitsweise unerlässlich.
2. Der Sperrgrund bei laufender Betriebsprüfung

pixabay: Mohamed_hassan
Ein wesentliches Hindernis für die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige stellt der sog. Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO dar. Danach ist eine strafbefreiende Selbstanzeige grundsätzlich in dem Moment nicht mehr wirksam möglich, in dem dem Steuerpflichtigen oder seinem gesetzlichen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist – und zwar unabhängig davon, ob die Prüfung zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen hat oder nicht. Diese Regelung bedeutet, dass die rein formale Zustellung der Prüfungsanordnung ausreicht, um die Tür zur Straffreiheit in Bezug auf die darin genannten Steuerarten und Zeiträume zu verschließen.
In der Praxis kommt es jedoch häufig vor, dass sich Betriebsprüfer zunächst telefonisch ankündigen, um sich mit den Steuerpflichtigen bzw. ihren Vertreter hinsichtlich eines Prüfungstermins abzustimmen. Ein solcher Anruf erfolgt nicht selten mehrere Tage vor der formellen Bekanntgabe der Prüfungsanordnung. Diese telefonische Kontaktaufnahme stellt jedoch lediglich eine organisatorische Maßnahme dar und entfaltet keine rechtliche Wirkung im Hinblick auf die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung. Solange die Prüfungsanordnung noch nicht schriftlich bekannt gegeben wurde, liegt rechtlich betrachtet noch kein Sperrgrund vor.
Dieser Umstand ist von erheblicher Bedeutung, da sich hieraus ein oftmals übersehenes, aber rechtlich wirksames Zeitfenster ergibt: Zwischen dem telefonischen Erstkontakt durch den Prüfer und dem tatsächlichen Zugang der Prüfungsanordnung besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, eine strafbefreiende Selbstanzeige abzugeben. Wer in dieser Phase schnell reagiert und vollständige Angaben zu sämtlichen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart macht, kann die Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige noch erfüllen – selbst wenn wenige Tage später die Prüfung offiziell beginnt.
Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Beweislast für den Zugang der Prüfungsanordnung bei der Finanzverwaltung liegt. Kann der Zugang nicht nachgewiesen werden, besteht keine rechtliche Grundlage für die Annahme eines Sperrgrunds. Auch der Umstand, dass der Prüfer möglicherweise bereits Unterlagen anfordert oder sich inhaltlich äußert, begründet ohne die formale Bekanntgabe noch keine Sperrwirkung. Anders ist der Fall zu bewerten, wenn bereits im Vorfeld Unterlagen übermittelt wurden, aus denen sich konkrete Hinweise auf eine Steuerstraftat ergeben, sodass die Tat als entdeckt gilt. In solchen Fällen könnte der Sperrgrund nicht auf der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung beruhen, sondern auf § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO – der Tatentdeckung.
Für den Steuerpflichtigen und dessen Berater ist es daher entscheidend, die zeitliche Abfolge genau zu dokumentieren und zu bewerten. Der Spielraum für eine Selbstanzeige mag eng sein, doch er besteht – vorausgesetzt, man erkennt ihn rechtzeitig und nutzt ihn entschlossen. Eine Selbstanzeige, die zwischen dem ersten Anruf des Prüfers und der offiziellen Zustellung der Prüfungsanordnung abgegeben wird, kann rechtlich wirksam und damit strafbefreiend sein.
Aber auch nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung besteht unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin die Möglichkeit, von der strafbefreienden Selbstanzeige Gebrauch zu machen. Welche Bedingungen hierfür erfüllt sein müssen, wird im Folgenden näher erläutert.
3. Selbstanzeige während der laufenden Betriebsprüfung
Ein häufiger Irrtum in der Praxis ist die Annahme, dass mit der Ankündigung oder Einleitung einer steuerlichen Betriebsprüfung jegliche Möglichkeit einer wirksamen Selbstanzeige entfällt. Tatsächlich sieht das Gesetz zwar vor, dass die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung grundsätzlich einen Sperrgrund darstellt. Dieser Sperrgrund führt allerdings dazu, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige nur in Bezug auf die von der Prüfung erfassten Steuerarten und Besteuerungszeiträume nicht mehr wirksam abgegeben werden kann.
Entscheidend ist jedoch, dass diese Sperrwirkung nicht uneingeschränkt gilt. Denn das Gesetz begrenzt in § 371 Abs. 2 Satz 2 AO ausdrücklich den Anwendungsbereich des Sperrgrunds auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Prüfung. Mit anderen Worten: Die Sperrwirkung gilt nur insoweit, wie die Prüfungsanordnung reicht. Steuerarten oder Veranlagungszeiträume, die nicht Gegenstand der angekündigten oder laufenden Außenprüfung sind, bleiben von dieser Wirkung unberührt. Für diese Bereiche kann nach wie vor eine wirksame Selbstanzeige abgegeben werden.
Beispiel: Wurde eine Betriebsprüfung für die Umsatzsteuer der Jahre 2020 bis 2022 angekündigt, so ist eine strafbefreiende Selbstanzeige für diese Steuerarten in diesem Zeitraum ausgeschlossen. Für andere Steuerarten – etwa die Einkommensteuer – oder für Zeiträume außerhalb der Prüfung, etwa das Jahr 2019 oder 2023, ist eine Selbstanzeige weiterhin möglich.
Diese gesetzliche Differenzierung ist nicht nur von theoretischer Bedeutung, sondern in der Praxis von erheblicher Relevanz. Denn Betriebsprüfungen beziehen sich regelmäßig nur auf bestimmte Steuerarten und klar umrissene Zeiträume. Steuerpflichtige, die befürchten, auch außerhalb des Prüfungsrahmens steuerliche Fehler begangen zu haben, können durch eine gezielte Selbstanzeige für diese nicht erfassten Jahre und Steuerarten weiterhin Straffreiheit erlangen.
Ein weiteres praxisrelevantes Detail dieses Sperrtatbestandes liegt darin, dass er ausschließlich bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung greift. Für Fälle leichtfertiger Steuerverkürzung ergibt sich aus § 378 Abs. 3 AO kein entsprechender Sperrtatbestand, sodass eine strafbefreiende Selbstanzeige auch nach Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung weiterhin möglich bleibt. In diesem Zusammenhang lässt sich von einem möglichen „Ringen um die Leichtfertigkeit“ sprechen, wenn es um den Erhalt der Straffreiheit geht. Sowohl die Finanzbehörden als auch die Steuerpflichtigen stehen dabei mitunter vor der Herausforderung, den subjektiven Tatbestand sorgfältig im Hinblick auf eine Steuerhinterziehung zu beurteilen.
4. Fazit: Besser spät als nie

pixabay: Mohamed_hassan
Die Frage, ob eine strafbefreiende Selbstanzeige trotz einer bereits eingeleiteten Betriebsprüfung noch möglich ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr zeigt sich bei genauer Betrachtung der gesetzlichen Regelungen, dass selbst in dieser vermeintlich „kritischen Phase“ unter bestimmten Voraussetzungen noch Spielräume bestehen, um steuerstrafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
Zwar stellt die formale Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung gemäß § 371 Abs. 2 AO grundsätzlich einen Sperrgrund dar, der die Wirksamkeit einer Selbstanzeige einschränkt – allerdings nur für diejenigen Steuerarten und Zeiträume, die konkret von der Prüfung erfasst sind. Für alle anderen steuerlichen Sachverhalte bleibt die strafbefreiende Selbstanzeige auch nach Beginn der Betriebsprüfung möglich. Noch bedeutsamer ist das kurze Zeitfenster zwischen der ersten telefonischen Kontaktaufnahme durch den Betriebsprüfer und der förmlichen Zustellung der Prüfungsanordnung. In dieser Phase besteht häufig die letzte Möglichkeit, für alle relevanten Sachverhalte eine wirksame und strafbefreiende Selbstanzeige einzureichen.
Die gesetzlichen Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige sind hoch: Sie muss vollständig, fristgerecht und formal korrekt sein, sämtliche unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart erfassen und die hinterzogenen Beträge müssen inklusive Zinsen und ggf. Zuschlägen vollständig beglichen werden. Schon geringfügige inhaltliche Fehler oder lückenhafte Angaben können dazu führen, dass die erhoffte Straffreiheit nicht eintritt und das Risiko eines Steuerstrafverfahrens real wird. Die korrekte rechtliche Bewertung, etwa ob ein Sperrgrund vorliegt, ob eine Tat bereits entdeckt wurde oder ob lediglich eine leichtfertige Steuerverkürzung gegeben ist, erfordert tiefgehende Fachkenntnis und präzise Prüfung jedes Einzelfalls.
Für Betroffene ist es daher von entscheidender Bedeutung, frühzeitig rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen – idealerweise bevor die Prüfungsanordnung offiziell bekannt gegeben wird. Nur so lässt sich das noch bestehende Zeitfenster effektiv nutzen und eine rechtssichere Lösung entwickeln.
Unsere Kanzlei ist auf die Begleitung von Selbstanzeigen und die Verteidigung in Steuerstrafverfahren spezialisiert. Wir verfügen über langjährige Erfahrung im Umgang mit Betriebsprüfungen, steuerstrafrechtlichen Ermittlungen und komplexen Sachverhalten an der Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Strafrecht. Gemeinsam analysieren wir Ihre individuelle Situation und erarbeiten eine maßgeschneiderte Lösung, um Risiken zu minimieren und Ihre Rechte bestmöglich zu schützen.
Sie haben weitere Fragen zum Thema Selbstanzeigen?
Sie haben die Prüfungsanordnung erhalten? Kontaktieren Sie uns jetzt- wir unterstürzen Sie gerne!